50.24 Anschein, Offensichtlichkeiten

 

BETENDER  RUF

 

Alles, was uns präsentiert wird und was wir in unserer Umwelt, die wir „Natur" nennen, wahrnehmen können, zeigt sich uns im Zeichen der Evidenz, die uns erlaubt, zu projizieren, zu berechnen, zu ordnen, zu verteilen...

Selbst von unvorhergesehenen und unerwarteten Prozessen weiß man, dass sie da sind...  – wie Erdbeben, wie abrupte Wetterumschwünge – man weiß, dass sie latent vorhanden sind, und dass irgendwann eine Verwerfung[1] nachgeben kann... und ein Erdrutsch auftreten kann. Wir wissen noch nicht, wie wir sie verhindern können... oder wie wir vor ihnen warnen können, wann sie eintreten werden, aber es ist augenscheinlich, dass sie da sind.

Mit dem Aufkommen der Sesshaftigkeit taucht der Ackerbau auf, erscheint das Bauerntum und die Offensichtlichkeit des Verhaltens des Pflanzenreichs wird vollständig.

Es reagiert auf Muster und auf ein gemeinschaftliches Fühlen. Und es erlaubt eine Vielzahl von Variablen.

Und es wird darauf bestanden: Bis zu wohin sind wir in der Lage zu wissen, dass das, was sich uns zeigt, evident (span.: ‚evidente‘) ist.

Und was ist mit dem Menschen... Welche sind die Offensichtlichkeiten? Einfach nur von jedem Wesen.

Wann es anfing, aufzutauchen, ist nicht bekannt, aber das Wesen tritt in Erscheinung (span.: ‚se hace apariencia).

Und die „Kunst" – in Anführungsstrichen –, den Anschein zu wahren (span.: ‚aparentar‘), ermöglicht ein gewisses Maß an Zusammenleben.

Das heißt, alles war offensichtlich (span.: ‚evidentemente‘) vorbereitet, „damit"... Aber eines der Teile der Schöpfung – vielleicht wurde es durch das Augenscheinliche (span.: ‚evidente‘) bewundert – versuchte, das Geheimnis… dieses Mysterium zu modifizieren, sich dessen habhaft zu machen.

Und dann blieb nichts anderes übrig, als den Anschein zu erwecken (span.: ‚aparentar‘) so zu tun, als ob.

Der Anschein (span.: ‚apariencia‘) bedeutet zu verbergen, was man fühlt, was man ist, was man denkt, was man erahnt, was man...

Und bis zu welchem Punkt... bis zu welchem Punkt ist diese Position wirklich menschlich, wirklich natürlich? Denn es könnte so sein, dass es so wäre, und es eine der vielen offensichtlichen (span.: ‚evidente‘)  Variablen wäre, die existieren. Aber es kommt vor, dass das Wesen, wenn es zum Anschein wird (span.: ‚hacerse aparente‘) und seine gewohnte Position der Anschein (span.: ‚apariencia‘) ist, es gespalten ist.

Indem es seine Natur abspaltet, gerät er in Konflikt mit sich selbst. Und dieser Konflikt mit sich selbst schadet ihm. So sehr, dass man sagen könnte  – ohne große Gewissheit, aber mit vielen Beweisen – dass der schlimmste Feind des Wesens es selbst ist. Und es brauchte keinen Feind, der es selbst ist. Natürlich, wenn man sich selbst zum Feind hat, ist die Niederlage gewiss. Natürlich: man kennt den anderen, der andere kennt diesen...

Und die Niederlage wird sich auf unterschiedliche Weise oder mit unterschiedlichen Erscheinungsformen ereignen.

Und in dieser Zusammenfassung ist es merkwürdig, dass sich das Wesen – im Allgemeinen  –  ins Gebet flüchtet, um seine Evidenzen (span.: ‚evidencias‘) zu zeigen.

Und das ist in Ordnung, ja, das ist in Ordnung, aber es kann nicht sein, dass eine Erscheinung (span.: ‚apariencia‘) aufgrund einer seelisch-geistigen Evidenz mit dem Schöpfer Mysterium gerechtfertigt wird. Das platziert es in eine Position, die ihm nicht entspricht.

Und so ist der Betende Sinn fragmentiert, da der unter dem Offensichtlichen (span.: ‚evidente‘) des Wesens ausgeübt wurde, aber später – später – taucht der Anschein (span.: ‚apariencia‘) auf.

Und das Gebet wird fragmentiert.

Das war wahrscheinlich im Laufe der Geschichte der Mechanismus, wegen dem Hunderte von Milliarden und Abermilliarden und Billionen von Gebeten, von Intentionen usw. nicht zu Veränderungen der Menschheit im Sinne ihrer wahren Dimensionen geführt haben, sondern zu Veränderungen eines anderen Anscheins (span.: ‚apariencia‘).

Und nach und nach wurden – so, wie es geschieht  - die Gebetsevidenzen durch die Evidenzen von Psychologen, von Schamanen, von Zauberern, von Kräuterkundigen, von Ärzten, von Priestern ersetzt... – jetzt nicht mehr.

 

Vielleicht ist deshalb die Idee des „kontinuierlichen Gebets" entstanden, dieses Gefühlszustandes und der Intention, in dem das Wesen während des Tages kurze, sehr kurze, aber konstante Momente und Augenblicke des Gebets hat... um so auf evidente Weise reagieren zu können, was es ist, wie es ist... und um die Einheit des Wesens zu erleichtern. Eine Einheit, die für die Umgebung offensichtlich ist. Und dann wird die Feinabstimmung leicht sein.

Andererseits, wenn der Anschein (span.: ‚apariencia‘) skizziert, antrainiert ist, wird die Feinabstimmung schwierig. Es gibt Fragmente, es gibt Details, die nicht passen. Dann werden die Reizbarkeiten und Verdächtigungen zum Alltag. Voilà!

Und es geht nicht darum… – man könnte es so interpretieren – darum, sich täglich zu entblößen, sich zu häuten, um unsere Eingeweide zu zeigen. Nein. Es ist das einfache Zeigen meines Wesens, meiner Position... damit man mich finden kann, damit wir uns austauschen können, damit wir wissen, ob wir teilen oder nicht, oder weitermachen sollen...

Es geht nicht darum zu vereinfachen. Natürlich sind menschliche Beziehungen sehr komplex, aber wir können uns mit offensichtlichen (span.: ‚evidentes‘) Fragmenten feinabstimmen, so dass der Teil des Anscheins da sein kann oder auch nicht, aber ohne Konflikt.

 

Wie das Sprichwort sagt  – und jeder wird es im Kopf haben: „Der Schein trügt…“

Und was das Wesen im Allgemeinen unglaublicherweise nicht begreift, ist, dass es ihn entgegen seiner Besonnenheit – wenn es die denn dann hätte, nicht wahr(?), aber nehmen wir an, es hätte sie – nicht notwendig ist. Ja, denn wir gehen bereits von der Idee aus, dass der Anschein (span.: ‚apariencia‘) absolut notwendig ist, um diesen, jenen, den anderen, den anderen, den anderen und sich selbst ertragen zu können.

Irrtum!

Auch wenn es stimmt, dass, wenn man auf die Evidenzen (span.: ‚evidencias‘)  zurückgreift, es zu Konfrontationen kommen kann, es kann sie geben... Aber sie sind sauber! Sie sind klar! Und sie werden schnell gelöst, und man kommt zu einem Konsens, zu einer Einigung. So ist es! Aber man glaubt das nicht.

Vielleicht verhindert das Verlangen nach Besitz diese Möglichkeit oder macht sie sehr schwierig. Und man denkt, dass die Welt des Anscheins (span.: ‚apariencia‘), also..., dass man dann seine Ruhe hat (span.: ‚tener la fiesta en paz‘[2]).

Eine Party in Ruhe ist keine Party. Also sogar die Sprache hintergeht uns. „Eine Party in Ruhe ist keine Party.“ Die Party hat nichts mit Ruhe zu tun. Die Party ist der Gaudi, das Lachen, die Witze...

Ruhe – was wir unter „Ruhe" verstehen  – ist Ruhehaltung, Stille, Wohlerzogenheit… Ruhehaltung.

Klar, selbstverständlich gibt es viele Definitionen, aber in der Definition selbst des Alltäglichen ist... das Entsetzen:

„Lasst uns nicht streiten. Man kann nicht  über das reden, noch über das, noch über das. Du darfst weder dies noch das noch das andere zeigen.“

Dann wird das Fest wirklich zu einer Bestattung, ja, zu einem Vorspiel eines Todes. Apropos, apropos, apropos, apropos, apropos, mit großer Anstrengung. Wenn man all diese Mühe aufwenden würde für... ich weiß nicht, für die Verbesserung der Muskulatur, des Skeletts, der Stimmung... ich weiß nicht, für etwas anderes: einen Stuhl zu verschieben, ein Zimmer zu putzen, dann hätten wir alles tadellos. Denn es ist eine große Anstrengung, das aufzulösen, was ich bin, und das zu zeigen(span.: ‚aparentar‘), was ich nicht bin.  

Und das: Man muss es beim Händler machen, bei dem Herrn, der kommt, mit der Dame, auf die ich treffe, mit... Mit anderen Worten, die ganze Zeit. Offen gesagt… ist das eine verheerende Anstrengung. Ja. Natürlich ist es verheerend, klar.

Oft sagt man zu sich selbst: „Ich bin müde und weiß nicht warum.“  Jetzt wissen Sie bereits warum, wovon Sie müde sind: wegen der Anstrengungen, die man in dieser Dimension macht. Das ist mehr, als es scheint. Obwohl man sie bereits auf natürliche Weise integriert hat – was für ein Wort: „Natürlich" – was logisch ist.

 

Der Betende Ruf warnt uns, verdeutlicht uns diesen Teil des Daseins, des Wesens, Zusammenlebens, der uns zur Erschöpfung, zur persönlichen Konfrontation und – natürlich – zur Konfrontation mit der Umwelt führt. Und er wird als Betender Ruf angeboten, damit er durch diesen unweigerlich transparenten Sinn der Evidenzen (span.: ‚evidencias‘), die in dem Moment zu beten entstehen, ausgeübt werden kann.

Es ist schwer zu glauben, nicht wahr? Schauen Sie, schauen Sie sich etwas sehr Einfaches an: Die Person schämt sich nicht, sie schämt sich nicht angesichts des Gebet, angesichts des Moments des Betens, sich so zu zeigen, wie sie ist. Vielleicht, weil sie weiß, dass derjenige, an den das Gebet gerichtet ist, sehr wohl weiß, wer wir sind, denn unsere Herkunft ist ein Entwurf von IHM. Aber es ist erstaunlich, dass es angesichts des Unerwarteten, des Unergründlichen, keine Möglichkeit gibt, sich zu verstellen.

Andererseits, wenn wir es mit dem leicht zu handhabenden, dem Fügsamen, dem Leichten, dem Einfachen zu tun haben, so wie es mit den Spezies und bei unserer eigenen Spezies und mit uns selbst der Fall ist, finden wir es... puff, schwierig. Es wäre schwierig, zu beten. Sehr schwierig.

Aber sie erinnern sich – sie erinnern sich – in jener paradiesischen Geschichte, als sie von der verbotenen Frucht aßen, vom Baum des Lebens, von Gut und Böse, dass Adam und Eva sich eines Abends vor dem Besuch Jahwes  – es war am Abend, sagen sie, ja; wir wissen nicht, warum sie den Abend wählten, aber gut – mit Weinblättern bedeckten. Das erzählt uns die Geschichte.

Mit anderen Worten, der Anschein (span.: ‚apariencia‘) hat bereits begonnen, nicht wahr? Die Schande. Sie haben versucht, Gott selbst zu täuschen. Und der hat es offensichtlich bemerkt, nicht wahr? Er sagte: „Es ist etwas geschehen. Warum bedeckt Ihr Euch?

Dort begann der Anschein (span.: ‚apariencia‘).

 

Sie gibt viel Stoff zum Nachdenken, ja. Eine Geschichte, die vielleicht eine Offenbarung ist, vielleicht auch nicht, vielleicht ein Einfall... aber der uns zu einer komplexen Wahrnehmung führt.

Und siehe da, Jahwe, als er sah, was geschehen war, beschloss, sie aus diesem paradiesischen Bewusstsein des Daseins und des Lebens herauszunehmen und sie in ein anderes zu versetzen, ein ganz anderes.

 

Und vielleicht – vielleicht, in dieser betenden Spekulation  – wurde der Mensch, das menschliche Wesen, bockig, stellte sich dagegen, ärgerte es sich über diese Strafe – nennen wir es so – und nahm die neue Dimension unter der Auffassung in Angriff, mit seinen Fähigkeiten Gott selbst zu trotzen.

Es gab keine Notwendigkeit für den Teufel. Was geschah, ist, dass der aus Gründen des Drehbuchs erfunden wurde, um den Groll des Menschen gegenüber dem Göttlichen zu rechtfertigen, und die Schuld wurde diesem Hochstapler zugeschoben: dem Teufel, wo es doch so war, dass der Hochstapler das Wesen selbst war.

 

Oh, oh! Vielleicht sind wir, wenn wir häufig diesen oder jenen für unsere Probleme verantwortlich machen, wenn wir unser Wesen untersuchen, vielleicht selbst an unserem Kummer Schuld.

Oh!

Und den Teufel des einen und des anderen gibt es nicht. Unserer existiert.

Ah!

Ja, das ist wahr. Es ist auch wahr, dass von Zeit zu Zeit die einen oder anderen, diese oder jene, ihre Dämonen entfesseln.

 

Und wir können sie wahrnehmen... aber es sind nicht unsere.

Wir können nicht sagen, dass sie uns schaden. Nein, nein. Sie passen nicht in unsere persönliche „Dämonologie".

Aber natürlich ist es innerhalb des Anscheins (span.: ‚apariencia‘) einfacher, das, was mir widerfährt, dem anderen zuzuschreiben und es nicht mir selbst zuzuschreiben... aufgrund dessen, was ich bin, wie ich bin und wie ich lebe.

Ja, natürlich, es gibt eine Vielzahl von Variablen, eine Vielzahl von Gesichtspunkten, natürlich, natürlich! Die Anscheine (span.: ‚apariencias‘) sind unendlich. Das Offensichtliche ist einfach...; simpel, eindringlich und überzeugend.

Und dort ist es – wenn das der Fall ist und wenn das Zusammenleben nach diesen Kriterien erfolgt – ist es unvermeidlich, zu einem Konsens zu gelangen, zuzustimmen. Das heißt, mit anderen Worten: Übereinzukommen, einen gemeinsamen Sinn innerhalb der Individualität eines jeden einzelnen zu haben, was zweifellos einen Verlauf, eine Anstrengung bedeutet. Ja, ja, aber es ist eine Anstrengung, die bei jedem Schritt in einer freudigen Weise gipfelt. Und nicht das Martyrium des weit entfernten, trauernden Auftretens ist.

 

Vor kurzem hat ein angesehener und bewunderter Politiker, Herr Mujica, einen Satz gesagt, der überhaupt nicht... überhaupt nicht begeistert war. Und wir bringen das als Vergleich, jetzt, wo wir uns hier auf dieser Ebene befinden.

Er sagte: „Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, die Dinge zu verändern, und es ist mir nicht gelungen, irgendetwas davon zu ändern.

Wow! Sein langes Leben – und das ist es auch.

Und man könnte fragen: „Aber haben Sie versucht, die Dinge zu ändern, die äußeren Dinge, die Dinge außerhalb von Ihnen. Und haben Sie versucht, Ihre eigenen zu ändern?

Das bedeutet offensichtlich ein Modul zu verwenden. Nein... Es ist absolut keine… – nicht einmal – eine Meinung gegen Herrn Mujica. Nein. Er ist eine öffentliche Person und als solche benutzen wir ihn als Phrase.

Demnach ist es häufig so, dass Menschen versuchen, andere und andere und andere zu ändern, und zwar auf der Grundlage von Äußerlichkeiten, nicht auf der des  Konsens oder  von Evidenzen (span.: ‚evidencias‘). Und klar, und mit der Zeit und in dem Verstreichen, andere zu verändern, indem man den Anschein (span.: ‚apariencia‘) nutzt, verändert sich nichts. Nein. Die Evidenzen (span.: ‚evidencias‘) sind weiterhin unterschiedlich.

 

Und so kommt man zu dem Schluss, dass es keine Möglichkeit gibt, irgendetwas zu ändern... wo es doch so ist, dass alles möglich ist.

Wir haben diesen Satz schon vor langer Zeit beschrieben: „Auf dem Weg des immer Möglichen.“

 

Aber sehr häufig verzögert und verzögert die Ermüdung durch den Anschein (span.: ‚apariencia‘)  den Konsens und die Evidenzen (span.: ‚evidencia‘).

 

Der Betende Ruf eröffnet uns in diesem Tagesanbruch (span.: ‚ama-necer‘) den Hinweis auf die Natur des Wesens, mit dem Sinn, dass das Offensichtliche (span.: ‚evidente‘) in seiner Unschuld, in seinem „ohne Fallen“, in seinem Spiel, in seiner unterschiedlichen Art eines jeden Wesens zu sein glänzt – aber anerkannt als Feinabstimmung der Spezies selbst – wodurch sie ein gemeinschaftliches Fühlen haben zu teilen, zusammenzuleben und sich zu entwickeln.

Keinen kontinuierlichen und konstanten Streit, um fortzudauern.

 

Zurückkehren zur Unschuld der Offensichtlichkeit (span.: ‚evidencia‘)... und die Transparenz der Unwissenheit erreichen.

Zurückkehren zur Offensichtlichkeit (span.: ‚evidencia‘) der Unwissenheit... und die Evidenz (span.: ‚evidencia‘)… und die Offensichtlichkeit (span.: ‚evidencia‘) des Konsens als einen Weg der Kohärenz, als ein Gefühl der Einzigartigkeit erretten.

 

 

Das Erbarmen betrachtet uns in seiner Barmherzigkeit und in seiner Güte, und mit ihr sind wir... „immer möglich".

Würdige Ausdrucksformen unserer Botschaft.

 

 

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[1] Eine Verwerfung (auch Bruch, Sprung, Verschiebung oder Störung im engeren Sinne) ist eine tektonische Zerreiß- oder Bruchstelle im Gestein, die über Distanzen vom Zentimeterbereich bis zu einigen Dutzend bis hundert Kilometern zwei Gesteinsbereiche oder Krustenteile gegeneinander versetzt.

[2] Wörtlich übersetzt: Ein freidliches/ruhiges Fest haben

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